The Secret World Stephen King trifft Deus Ex[/size]
Beim Frühstart-Test erweist sich The Secret World nicht nur als wunderbar abwechslungsreiches MMO – sondern auch als erstaunlich anspruchsvolles. Wir müssen uns vorher bloß die pawlowschen Reflexe abgewöhnen.
The Secret World müssen Sie sich so vorstellen: Denken Sie an ein beliebiges Online-Rollenspiel. Denken Sie sich anschließend nahezu jede Genre-Konvention weg: Erfahrungsstufen, Quest-Hubs, das sture Abarbeiten einer Skill-Rotation und prall gefüllte Auftragsbücher, in denen Sie detailliert nachlesen können, wie viele Flauschhasenfelle (viele) und Zaunköniglebern (noch mehr) das Spiel von Ihnen eingesammelt haben will.
Ersetzen Sie diese Konventionen durch ein freies Skillsystem, eine wunderbar abgedrehte »Stephen King trifft Deus Ex«-Geschichte und wirklich anspruchsvolle Quests, und Sie sind The Secret World schon ziemlich nahe.
Ein Held, eine Mission
»Anspruchsvolle Quests«, hören wir da den ersten Skeptiker verächtlich rufen, »das behaupten Online-Rollenspiele doch dauernd, und am Ende sammle ich dann doch wieder Flauschehasenfelle und Zaunköniglebern!« Zugegeben: Ganz ohne Jäger- und Sammleraufgaben kommt auch Secret World nicht aus – aber die sind schnell erledigt, weil sich das Spiel eine Genre-Unsitte verkneift.
Es besitzt nämlich jeder Flauschehase (nun ja, Zombiehasen käme der Sache eigentlich näher, aber dazu gleich mehr) auch ein Flauschehasenfell. Die meiste Zeit allerdings verbringen wir ohnehin mit den mehrstufigen Hauptmissionen, und die erfordern tatsächlich Köpfchen.
Grundsätzlich gilt: Wir können immer nur eine Hauptmission gleichzeitig aktiv haben. Was in den ersten Spielminuten befremdlich wirkt, weil wir wie ein pawlowscher Hund zu jedem NPC rennen und sämtliche Aufgaben einsammeln wollen, entwickelt schnell eine beinahe organische Dynamik.
Weil uns The Secret World so clever durch die Zone leitet, dass wir eigentlich immer was zu tun haben – und weil wir nur in Ausnahmefällen zurück zum Auftraggeber stapfen müssen, wenn wir eine Quest beendet haben. Stattdessen holen wir uns die Belohnung bequem per Handy ab und finden keine 50 Meter weiter den nächsten NPC oder die nächste Nebenquest.
Quests mit Köpfchen
Jetzt aber zum Köpfchen: Neben den typischen Rollenspiel-Aufgaben dürfen wir nämlich auch so genannte Untersuchungsmissionen erledigen. Die funktionieren ganz ähnlich wie ein Adventure. Wir erhalten einen (teils sehr kryptischen) Hinweis und müssen uns die Lösung selbst erarbeiten – zum Beispiel, indem wir im integrierten Internet-Browser die fingierte Mitarbeiter-Datenbank der fiktiven Orochi-Gruppe durchstöbern. Oder ein Bibelzitat nachschlagen.
In diesen investigativen Missionen verzichtet The Secret World konsequent auf genretypische Lösungshilfen; wenn ein Rätsel darin besteht, einen bestimmten Ort zu finden, dann müssen wir den tatsächlich selbst finden – und folgen nicht einfach einer Markierung auf der Karte.
Natürlich könnten wir die Lösung auch im Chat erfragen (da wären wir übrigens beileibe nicht die einzigen) oder kurzerhand im angesprochenen Browser nachschlagen – aber wozu die Eile? Es ist viel befriedigender, diese teils schwierigen Kopfnüsse selbst zu knacken; auch wenn wir in manchen Fällen tatsächlich einen kleinen Tipp gebraucht haben.
Überhaupt nimmt uns The Secret World nur selten gluckenhaft bei der Hand; aktives Mitdenken und ein bisschen Geduld sind also nötig, aber hey, der Maximallevel ist schließlich auch morgen noch da.
Freiheit für Fähigkeiten
Wobei … ist er eigentlich nicht, denn es gibt keinen Maximallevel. Zwar belohnt uns auch The Secret World ganz klassisch mit Erfahrungspunkten, Erfahrungsstufen indes kennt es nicht.
Stattdessen erhalten wir mit zunehmender Erfahrung so genannte Kraftpunkte, die wir in einem Kraftrad in neue Fähigkeiten investieren dürfen. Diese Fähigkeiten wiederum sind an neun verschiedene Waffengattungen wie etwa Klingen, Sturmgewehre oder Blutmagie gekoppelt.
Da keine Charakterklassen existieren, sind wir in der Wahl der Waffengattung (wir dürfen bis zu zwei Waffen gleichzeitig führen) völlig frei – und da den Kraftpunkten nach oben hin keine Maximalstufe gesetzt ist, können wir im Spielverlauf theoretisch sämtliche Skills aus allen Kategorien erwerben.
Der Haken: Aus diesem Sammelsurium von Fähigkeiten dürfen wir nur je sieben aktive und passive Fähigkeiten gleichzeitig ausrüsten – das nennt sich im Spiel dann ein »Deck«.
Klingt komplex? Ist es auch – zumal sich The Secret World mit entsprechenden Erklärungen oder Tutorials gar nicht weiter aufhält. Wer wirklich hinter das flexible System steigen will, der muss sich ganz altmodisch einarbeiten; oder alternativ einen der im offiziellen Forum verlinkten Guides studieren.
Die Mühe allerdings lohnt sich, weil es für wirklich jede Spielweise die passenden Skills, Waffengattungen und Kombinationen gibt – wir müssen sie zu Spielbeginn bloß finden.
Vertonte Fraktionen
Apropos Spielbeginn: Dort entscheiden wir uns für eine von drei Geheimbund-Fraktionen: Die Templer, die Illuminaten oder die Drachen. Anschließend geht’s mitten hinein in eine abgedrehte Mischung aus Verschwörungsmythos, Stephen King und H.P. Lovecraft.
Wir fassen die Handlung der ersten Spielstunde mal zusammen: Unser Charakter verschluckt im Schlaf eine mysteriöse Biene, kann anschließend Thaumaturgie wirken, wird deshalb von einem der drei Geheimbünde rekrutiert, erlebt als Flashback einen Terroranschlag auf die U-Bahn von Tokio, der eigentlich gar kein Terroranschlag ist, und wird über den Weltenbaum der hohlen Erde nach Neu England geschickt, wo Zombies und seltsame Cthulhu-Wesen über die Stadt Kingsmouth herfallen.
Das ist ziemlich harter – und munter durcheinandergewürfelter – Erzähltobak, aber nach ein paar anfänglichen »Hä?«-Momenten packt uns die krude Mischung trotzdem. Was nicht zuletzt an den erstklassigen Dialogen liegt.
Sämtliche Haupt- und Story-Missionen sind à la The Old Republic vollvertont und im englischen Original mit einem so perfekten Ohr fürs gesprochene Wort verfasst, dass nahezu alle Figuren einen glaubhaften, individuellen Touch erhalten.
So anständig die deutsche Synchronisation auch ist – spielen Sie nach Möglichkeit das englische Original. The Secret World spaziert schon im Englischen hart an der Grenze zum Schundheftchen-Kitsch; die deutsche Version hingegen überschreitet sie bisweilen.
Frühstart-Stolpersteine
Im Vergleich zu anderen MMO-Releases läuft The Secret World aktuell sehr stabil und weitgehend fehlerfrei. Uns selbst begegneten während des Frühstart-Wochenendes lediglich zwei Quest-Bugs; beide sorgten dafür, dass wir die jeweilige Mission nicht beenden konnten, waren aber keine »Plot-Stopper«.
Dafür kämpften wir auf einem Mittelklasse-Testsystem (Phenom II X4, Geforce 460 GTX, 4 Gigabyte Arbeitsspeicher) mit teils gravierenden Performance-Einbrüchen auf unter zehn Frames pro Sekunde, selbst mit minimalen Details und in niedrigen Auflösungen.
Unter der anfänglichen Freude über abwechslungsreiche Quests und ein unverbrauchtes Setting soll allerdings nicht verloren gehen, dass The Secret World nicht alles perfekt macht. So toll wir es auch finden, dass uns das Spiel nicht ständig wie einen latent begriffsstutzigen Trottel behandelt, so gerne hätten wir einige nicht ganz unwichtige Details vernünftig erklärt bekommen.
Wie das ganze Handwerkssystem denn nun genau funktioniert, zum Beispiel. Oder wo wir eine Bank finden. Oder dass wir in der Einführungssequenz eine Zweitwaffe abstauben können und das auch sollten. Ein Tipp für angehende Geheimbünde: Seinen eigenen Mitgliedern muss man nicht alles verschweigen.
Vorläufiges FAZIT:
»Auch wenn es für ein abschließendes Fazit natürlich noch viel zu früh ist: So viel Spaß hatte ich mit einem neuen MMO schon lange nicht mehr. The Secret World fehlt es zwar am Feinschliff eines The Old Republic (wer hat denn diese potthässlichen Menüs entworfen?), aber das macht es – zumindest bislang – mit viel Charme und Originalität wieder wett. Schade bloß, dass mein Charakter in den Dialogen konsequent stumm ist und so die Persönlichkeit eines Laternenpfahls entwickelt. Aber Schwamm drüber, ich mag Stephen King und H.P. Lovecraft und Verschwörungstheorien und muss jetzt sowieso ganz dringend, also unbedingt und ohne Umschweife weiterspielen. Schließlich ist The Secret World das erste Online-Rollenspiel, bei dem ich aufrichtig gerne queste.«
Das Szenario könnte ich mir interessant vorstellen,ich hoffe nur das das übliche Quest-Einerlei durch spannende Aufträge endlich mal abgelöst wird...bloss net: "verhaue 100 hiervon" und "400 davon"......ob das nochmal in irgendeinem MMO in Erfüllung geht???