Die unverschämte Berichterstattung von RTL über die Gamer-Szene![/size]
Wie RTL sich die falschen Witzfiguren aussuchte
Eine aufregende Woche war das für den Kölner Sender RTL: Ein gehässiger TV-Beitrag über die Gamescom sorgt bei Spielern für viral befeuerte Empörung und mündet in öffentliche Demutsgesten. Ein Lehrstück über den Alltag im deutschen Fernsehen.
»Sollten irgendwann doch Außerirdische bei uns auf der Erde landen, könnten sie auf folgender Veranstaltung wirklich enge Freundschaften schließen«, leitet RTL-Moderatorin Nazan Eckes am 19. August, dem zweiten Publikumstag der Kölner Spielemesse, einen Fernsehbeitrag für das vorabendliche Nachrichten-Magazin Explosiv ein.
Gleich drei Redakteure hätten laut Eckes versucht, die »echt komischen Gestalten« zu durchschauen, die sich auf der Gamescom rumtreiben.
Laut einem von ihnen, Tim Kickbusch, ging es angeblich um etwas ganz anderes: »Der sollte lustig werden«, schreibt er sechs Tage später in einer mehrzeiligen Entschuldigung auf der offiziellen Facebook-Seite der Gamescom.
Der fünfminütige Beitrag war allerdings weder erhellend noch erheiternd – er unterschied sich in Machart, Intention und Relevanz aber auch wenig von all den anderen Plattitüden und Alltäglichkeiten, denen in den Reportagen und Nachrichten des Kölner Privatsenders vermeintlich Berichtenswertes abgerungen wird.
Statt um Aufklärung ist die Mehrheit dieser Privat-TV-Beiträge um Festigung von Vorurteilen bemüht – Hinterfragen könnte den Zuschauer mehr anstrengen als bestätigen, und zudem will man ihm auch das wohlige Gefühl der Überlegenheit bescheren. So dreschen manche TV-Redakteure mit schöner Regelmäßigkeit auf Randgruppen ein, bedienen Stereotype und führen angeblich anormale und befremdlich wirkende Menschen vor.
Dass es auch anders geht, zeigt selbst RTL in der Vorabendsendung Guten Abend RTL (Beitrag auf YouTube), in der auswogen über die Messe und ihre Besucher berichtet wurde. Aber bei einer maximal polarisierenden Boulevard-Berichterstattung sind die leicht und meist wehrlosen Protagonisten Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Muttersöhnchen oder Live-Rollenspieler.
Am letzten Freitag hat es dann eben uns Spieler erwischt, die sich in Fußnähe zum RTL-Sendezentrum zu zehntausenden auf dem Kölner Messegelände herumtrieben.
Die Redaktion musste nur mit der S-Bahn zur Arbeit fahren, um sich die Kernthemen ihrer Berichterstattung zu erarbeiten: Nachlässige Kleidung, mangelnde Körperhygiene, Fetischierung des Virtuellen.
Fertig ist ein Beitrag, der nicht dem Thema, wohl aber dem Sendeschema gerecht wird. »Wenn Explosiv Redakteure auf die Gamescom schickt, dann wissen sie schon ganz genau, was sie von dort wollen, nämlich Provokantes«, sagt TV-Spieleredakteur Andreas Garbe, der lange Jahr für die RTL-2-News tätig war und heute bei ZDF.kultur an dem eSport-Format »FTW – For the Win« arbeitet.
»Die Intention von Explosiv ist, Quote zu machen« – auf wessen Rücken, ist der Redaktion beziehungsweise dem verantwortlichen Chef vom Dienst egal. Eigentlich.
Denn in diesem Fall hat man die Randgruppe unterschätzt: Die Spielergemeinde ist nämlich keine mehr. Und sie ist gut vernetzt. Und sie ist selbstbewusst geworden.
Stolz und Vorurteil
»Ich persönlich glaube, Gamescom-Besucher und Computerspieler sind ein humorloser Menschenschlag«, trat Kickbusch auf seiner Facebook-Seite nach, als die Lage für RTL noch nicht eskaliert war. Sieht man sich den Explosiv-Beitrag an und vergleicht ihn mit den wütenden Reaktionen der Spielergemeinde, dann möchte man ihm als objektiver Beobachter beinahe zustimmen.
Die Empörung steht in keinem Verhältnis zu den im Beitrag getätigten plump-naiven Nickligkeiten: »Irgendwann in seinem Leben steht jeder pubertierende Junge vor der Frage, kaufe ich von meinem Taschengeld einen Rasierapparat oder doch lieber ein Computerspiel«.
Dieser süffisante Kommentar ist ebenso unlustig wie unsinnig und dabei beispielhaft für den gesamten Beitrag.
Der Aufschrei über die Gamescom-Reportage aber ist so viel gewaltiger als der über die diffamierenden Darstellungen i n den zahllosen Reality-TV-Formaten wie Frauentausch & Co., in denen mitunter World of Warcraft - Counter-Strike -Spieler als asozial und aggressiv inszeniert werden. Und wie wenig erregen sich die deutschen Spieler heute noch über die verlässlich wiederkehrende Verknüpfung von Gewalttaten und Ego-Shooter-Konsum?
ss sich so viele Spieler derart massiv über das vergleichsweise banale Explosiv-Filmchen mokieren, liegt wohl an der schreienden Unfairness, die sie empfinden.
Endlich gibt es mit der Gamescom eine Veranstaltung in Deutschland, auf der man Spielefreak sein darf, die den Fanatismus, das Verkleiden, die offen zur Schau gestellte Zugehörigkeit zu einer Gruppe erlaubt, ja geradezu fordert. Und dann kommen ein paar überhebliche Medienmacher daher und missbrauchen Bühne und Darsteller für ihre unlauteren Zwecke. Das macht verständlicherweise rasend, ebenso wie es der Kölner Jeck wäre, wenn ihn ein RTL-Team am Faschingsdienstag als versoffenen, notgeilen und schweißtriefenden Schreihals porträtierte.
Außerdem wurde die zuständige Landesmedienanstalt mit Klagen geflutet - besonders unangenehm, weil RTL in den vergangenen Monaten schon öfter in der öffentlichen Kritik stand, unter anderem wegen der Sendung »Mietprellern auf der Spur« mit Vera Int-Veen. Zwar befand die Niedersächsische Landesmedienanstalt heute, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags vorläge. Aber man äußerte »Verständnis für die Empörung, die dieser Beitrag ausgelöst hat.«
Ob schließlich auch noch die anonymen Hack-Aktionen auf den Community-Seiten von RTL ihr Scherflein zum Entschuldigungsdruck beigetragen haben, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen – der Stressminderung der RTL- waren sie aber sicher nicht dienlich:
Mit der plakativen Reaktion von RTL dürfte der Höhepunkt der Empörung überschritten sein und sich der Trubel um die fünfminütige Zurschaustellung der »echt komischen Gestalten« auf der Gamescom in den kommenden Tagen wieder legen.
Ein übler Geschmack bleibt bei der ganzen Angelegenheit, trotz des Triumphs der Spielergemeinde, dennoch zurück: Diverse Besucher der Messe wurden Opfer der RTL- Berichterstattung (und melden sich mittlerweile auf YouTube zu Wort), und auch Messehostess Laura dürfte unter dem Trubel um ihre Person zu leiden haben.
Den hat sie zwar mitverschuldet, im Gegensatz zu den Verantwortlichen war sie aber dann doch eher von Naivität als von Bösartigkeit getrieben. Wir alle können aus dieser Geschichte wenigstens lernen, wie Fernsehen allzu oft funktioniert - und wir können als Konsumenten unsere Konsequenzen daraus ziehen.