Den USA steht ein historisches Urteil bevor: Das höchste Gericht des Landes entscheidet über Gewalt in Videospielen.
Die Spielebranche fürchtet das Schlimmste.
Die neun Richter des obersten Gerichtshof der USA, des Supreme Courts, spielen keine Videospiele. Sie schauen sich Videos an. Zum Beispiel von Postal 2.
In dem in Deutschland indizierten Ego-Shooter kann man auf den Straßen einer Kleinstadt Amok laufen, Menschen anzünden, auf Leichen pinkeln oder mit abgetrennten Köpfen Fußball spielen.
Das ist ohne Zweifel ein exzessives Maß an Gewalt; so exzessiv, dass das sieben Jahre alte Spiel immer wieder als Beispiel herhalten muss, wenn es um die Diskussion geht, ob Computerspiele potenziell gefährlich sein können.
Eingereicht hat die Videoschnipsel der Bundesstaat Kalifornien.
Er möchte von den obersten Richtern die Antwort auf eine Frage haben: Darf Kalifornien Minderjährigen verbieten, Spiele wie Postal 2 zu kaufen? Darauf gibt es, aus deutscher Sicht, eine ziemlich einfache Antwort. Aus amerikanischer Perspektive entscheidet der höchste Gerichtshof über nichts weniger als die Zukunft der Redefreiheit.
Offiziell verhandelt der Supreme Court über den Streitfall der Assembly Bill 1179, unterzeichnet von Gouverneur Arnold Schwarzenegger am 2. Oktober 2005, in dem der Bundesstaat Kalifornien seinem Zivilgesetzbuch die Sektion 1746 hinzufügt.
Sie verbietet den Verkauf von gewalthaltigen Spielen an Minderjährige unter 18 Jahren.
Darüber hinaus will Kalifornien eine Kennzeichnungspflicht einführen, eine weiße »18« mit schwarzem Rand auf einem Raum von 5,08 mal 5,08 Zentimetern, in etwa so groß wie die deutschen USK-Logos. Zum Jahresbeginn 2006 sollte das Gesetz in Kraft treten.
Stattdessen landete es vor Gericht. Der Händlerverband EMA (Entertainment Merchants Association) und der Herstellerverband ESA (Entertainment Software Association) klagen gegen die Umsetzung.
Für die beiden Interessenvertretungen ist das Routine, zuletzt hatten sie 2005 und 2006 zwei ähnliche Gesetze der Bundesstaaten Michigan und Illinois vereitelt. Gerichte kassierten dort die Vorlagen.
Auch bei AB 1179 erklärte erst das zuständige Bezirksgericht in San Jose, dann das Bundesberufungsgericht den Gesetzestext für verfassungswidrig. Kalifornien eskalierte den Fall zum Supreme Court.
Dort wird nun im Verfahren »Schwarzenegger v. EMA« zum ersten Mal über Computerspiele verhandelt.
Wovor muss man Jugend schützen?
Im Schlaglicht stehen Amerikas Verhältnis zu Mediengewalt und Jugendschutz. »Es ist in den USA sehr einfach für ein Kind, an ein Spiel zu kommen, das der Alterseinstufung nach nicht für es geeignet ist«, sagt Julian Rignall, Redaktionsleiter beim US-Spielemagazin GamePro.
Die Alterseinstufung durch die ESRB (Entertainment Software Rating Board) ist freiwillig, Verkaufsbeschränkungen gibt es nicht. De facto halten aber die meisten Handelsketten Selbstverpflichtungen ein, Erwachsenenspiele nicht an Kinder abzugeben, manche führen Spiele der Stufe »M« (»Mature«, ab 17) gar nicht erst im Sortiment.
In Deutschland hat der Jugendschutz Verfassungsrang, ihn zu garantieren ist Aufgabe des Staats. Er gilt gemeinhin als so wichtiges Gut, dass er im Zweifel höher steht als das Recht auf Handlungsfreiheit.
In den USA sieht man das genau umgekehrt: Kinder zu schützen ist Aufgabe der Familie, die Regierung hat sich herauszuhalten. Für sein Leben ist jeder selbst verantwortlich, reguliert werden sollte nur da, wo es unbedingt nötig ist.
Wie sehr sich die Einschätzung dessen, was bedrohlich ist und was nicht, von Kultur zu Kultur unterscheidet, spiegeln die Regeln zum Jugendschutz besonders deutlich wider.
Schon allein die Definition von Minderjährigen ist unscharf: In Deutschland gilt man ab 18 Jahren als erwachsen, in den USA je nach Bundesstaat erst ab 21.
Die meisten Amerikaner dürfen ab 16 Auto fahren, ab 18 rauchen, aber erst ab 21 Alkohol trinken; ein einigen Bundesstaaten ist es sogar illegal, wenn Jugendliche in den eigenen vier Wänden ein Bier leeren.
In Deutschland wiederum gibt’s »leichten« Alkohol wie Bier und Wein ab 16, wenn Mama beim Einkauf dabei ist sogar schon ab 14. Einvernehmlicher Sex ist in den USA erst ab 16 Jahren erlaubt, manche Staaten machen aber auch 17jährigen noch den Prozess, wenn sie mit Altersgenossen ins Bett gestiegen sind.
In Deutschland gilt unter normalen Umständen Sex ab 14 als okay.
Sprich: Die Deutschen schützen ihre Kinder vor allem vor Gewalt und Straßenverkehr, die Amerikaner vor Alkohol und Sex. Nur beim Teufel Tabak sind sich beide einig.
Amerikas andere Kultur
Die Unterschiede erklären sich aus der amerikanischen Historie.
Die Gründungsväter der Nation waren religiöse Flüchtlinge, ein puritanischer Geist prägt bis heute weite Teile der Gesellschaft. Der Freiheitskrieg für die Unabhängigkeit 1776 bestimmt als Gründungsmythos bis heute das Selbstverständnis, Amerika sieht sich als kampfbereite Nation.
»Im letzten Jahrhundert waren wir beinah durchgehend in bewaffnete Konflikte rund um die Erde involviert«, erläutert Josh Sawyer, Projektleiter für Fallout: New Vegas beim US-Entwicklerstudio Obsidian
»Unsere Gesellschaft ergötzt sich an Militärausrüstung und verehrt Militärpersonal.«
Laut einer Gallup-Umfrage vom Juli 2010 haben 76% der Amerikaner großes Vertrauen in die Armee, der mit Abstand meistgeschätzten Institution des Landes. Der Supreme Court folgt mit 36% erst auf Rang 7.
Diese historische Gemengelage hat sich in der Kultur niedergeschlagen.
»Als ich vor 15 Jahren nach Amerika gezogen bin, sah ich im Nachtfernsehen einen miesen alten Film über eine Biker-Gang«, erinnert sich der britischstämmige Spielejournalist Julian Rignall. »Einige der Rocker begruben einen Rivalen bis zum Hals im Sand und bearbeiteten seinen Kopf mit dem Motorrad, mit allen blutigen Konsequenzen.
Der Fahrer stieg schließlich ab und schrie die kopflosen Leiche an: ›Geschieht dir Recht, du Hundesohn!‹ Nur dass das Wort ›Hundesohn‹ weggepiepst war.
Das ist die amerikanische Kultur in aller Kürze.«
»Wir sind eben ein Volk von verklemmten Gewalttätern«, frotzelt Sawyers Obsidian-Kollege Matt MacLean über seine Landsleute. »Amerikaner sprechen gern über Gewalt, aber nicht über Sex, obwohl sie beides in gleichem Maße ausüben.«
Umgekehrt ist vielen US-Bürgern die deutsche Regulierungswut suspekt. »Amerikaner sind oft erstaunt über die deutschen Gesetze, die die Darstellung von nationalsozialistischen Symbolen verbieten«, sagt Josh Sawyer. Sie verstehen das als ungerechtfertigte Einschränkung der Meinungsfreiheit.....
In Deutschland steht das Verbrennen der Bundesflagge unter Strafe, im sehr nationalstolzen Amerika wird es dagegen -- durchaus zähneknirschend -- als legitime Meinungsäußerung toleriert.
In den fünf Jahren, in denen AB 1179 in Amerika inzwischen durch die Rechtsinstanzen wandert, hat Deutschland den Jugendschutz dreimal verschärft.
Das Gesetz und die Proteste
Aus dieser Perspektive wirkt das kalifornische Gesetz nachgerade sanftmütig. Gewalthaltige Computerspiele, so postuliert das Land in AB 1179, können »in Jugendlichen Aggressionsgefühle auslösen, die Aktivität im Frontalkortex des Gehirns reduzieren und Jugendliche dazu bringen, gewalttätig antisoziales oder aggressives Verhalten zu zeigen.«
Die gesetzlichen Konsequenzen, die Kalifornien daraus ableitetet, sind vergleichsweise zaghaft.
Wer ein 18er-Spiel an Minderjährige verkauft, wird mit einer Geldbuße von maximal 1.000 Dollar bestraft.
Von einem generellen Spielverbot für Jugendliche kann keine Rede sein, es geht nur um den Handel. Eltern dürfen ihren Kindern weiterhin kaufen, was sie für richtig halten. Gefährdend gilt nur Gewalt gegen Menschen oder Wesen mit »genügend menschlichen Eigenschaften«.
Weil das Gesetz explizit von Verpackungen spricht, ist zudem fraglich, ob es für Internet-Angebote überhaupt gilt.
Die Kläger EMA und ESA samt des später dazu gestoßenen Verbraucherverbands ECA bemühen sich trotzdem nach Kräften um ein mediales Donnerwetter.
In bissigen Worten wettern sie gegen »Kaliforniens gefährlichen Vorschlag«, »die jüngste in einer langen Geschichte von Überreaktionen gegen neue Medien«.
Sie halten es weder für belegt, dass Computerspiele überhaupt negativen Einfluss auf Jugendliche hätten, noch gebe es Grund zur Annahme, das die kalifornischen Eltern die Unterstützung des Staats bei der Medienerziehung ihrer Kinder benötigten.
»Es gibt keinen Beleg für ein Problem, das das Handeln der Regierung erfordern würde«, folgern die Kläger in ihrer Stellungnahme bündig. AB 1179 sei nichts anderes als »inhaltliche Zensur«.
Nicht noch ein Siegel!
Was die Spieleindustrie an Kaliforniens Vorstoß wirklich in Sorge versetzt, ist nicht das Verkaufsverbot.
»Wenn Kalifornien einfach nur Händlern Geldstrafen für den Verkauf von Erwachsenentiteln an Jugendliche aufbrummen wollte, dann sähen wir jetzt sehr viel weniger Widerstand von Spieleherstellern, wenn überhaupt«, sagt der Obsidian-Mann Josh Sawyer.
Tatsächlich sorgt sich die Branche vor allem über Vorgabe, Erwachsenenspiele mit einem 18er-Siegel zu versehen.
Denn diese Kennzeichnung sollen die Spielehersteller selbst vornehmen. Entsprechend wären sie auch für die Konsequenzen verantwortlich.
Das löst bei der Branche schon deshalb allergische Reaktionen aus, weil sie jede Erschütterung ihres vergleichsweise unbürokratischen ESRB-Modells fürchtet.
Als abschreckendes Vorbild dient die Filmbranche.
»Das Kontrollsystem dort ist ziemlich undurchsichtig und herrisch«, erklärt Matt MacLean von Obsidian. »Filmschaffende müssen viel Zeit damit verbringen, um seine Prozesse und Reglementierungen herumzutanzen.
Es ist ein klassischer Fall von ›Geld schlägt Können‹: Große Studios haben es in der Regel leichter als kleine, die länger warten und strengere Alterseinstufungen in Kauf nehmen müssen.«
Ein solches Ungleichgewicht fürchtet MacLean auch für die Spielbranche. »Die Kosten steigen, die Entwicklung dauert länger, Indie-Studios leiden, während große Publisher durch das System segeln.« Nur: Dazu braucht es kein AB 1179, es braucht noch nicht mal eine staatliche Vorgabe.
Die amerikanische Filmkontrolle ist eine private Organisation.
Die ECA-Rechtsleiterin Jennifer Mercurio warnt gar vor einem Szenario, bei dem sich an geschnittene Versionen gewöhnte deutschen Spieler ein Lächeln schwer verkneifen können:
»Spielehersteller würden sich vielleicht bis zu dem Punkt zensieren, wo sie eine Version für die USA herstellen und eine andere für den Rest der Welt.«
Das ist aber schon deshalb weit hergeholt, weil sich amerikanische Hersteller seit langem einer Alterskontrolle unterwerfen, dem freiwilligen ESRB-System (Entertainment Software Rating Board).
Wer das umsatzträchtige »Teen«-Siegel tragen und sein Spiel damit ab 13 Jahren verkaufen will, muss selbstverständlich den Gewaltgrad drosseln.
Vor allem aber setzen US-Firmen seit jeher problemlos die Schere an, sobald es um sexuelle Inhalte geht.
Selbst eine kanadische Firma wie Bioware traut sich Bettszenen in den Mass Effect -Spielen nur dann zu, wenn dabei kein blanker Busen zu sehen ist.
Denn Schamlosigkeit führt schnell zum höchsten ESRB-Rating »Adults Only«, ab 18. Ein Titel mit diesem Siegel ist praktisch unverkäuflich, die Einstufung kommt einer Indizierung gleich. Denn die meisten US-Handelsketten führen AO-Spiele maximal unter der Ladentheke.
Dass kein Hersteller dieses Risiko um der künstlerischen Freiheit willen eingehen mag, belegt die Statistik:
Von den knapp 20.000 Titeln, die die ESRB seit 1994 bewertet hat, bekamen nur 24 das 18er-Siegel, rund 0,1 Prozent -- davon eines wegen Gewalt, eines wegen Online-Glücksspiels, der Rest wegen sexueller Inhalte. Darunter befinden sich die drei deutschen Titel Singles , Wet und Lula 3D .
Das Kainsmal AO trifft ausschließlich PC- und Mac-Titel, denn kein Konsolenhersteller akzeptiert so riskante Ware.
Entsprechend erscheinen europäische Spiele wie The Witcher oder Fahrenheit in den USA als geschnittene Fassung ohne Sex.
Dass der europäische Markt jemals eine heißere Nippelversion eines keuschen US-Blockbusters bekommen hätte, ist nicht überliefert.
Suche nach der Grenze
Was Kalifornien und AB 1179 auf die Füße fallen könnte, ist letztlich die schwierige Frage, wo die Trennlinie zwischen exzessiver und noch vertretbarer Gewalt verläuft. Das Thema ist hoch umstritten, denn eine lupenreine Abgrenzung gilt als kaum möglich.
In allein drei Kategorien und zwölf Unterpunkten geht der Text von AB 1179 auf die Definition von »abartiger Gewalt« ein, darunter detaillierte Auslegungen von Worten wie »grausam«, »abscheulich« und »Missbrauch«.
Das deutsche Jugendschutzgesetz widmet der gleichen Definition im Vergleich nur drei knappe Zeilen.
Trotzdem musste sich der Anwalt Kaliforniens bei der Anhörung vor dem Supreme Court am 2. November 2010 in die Mangel nehmen lassen:
Richter Antonin Scalia: Was ist ein abartig gewalttätiges Videospiel? Im Vergleich zu was? Zu einem normal gewalttätigen Videospiel?
Morazzini: Wenn wir zum Beispiel zurückschauen auf …
Scalia: Um ehrlich zu sein, einige von Grimms Märchen sind ziemlich grausig.
Morazzini: Zugegeben, Euer Ehren. Aber der Gewaltgrad ...
Scalia: Sind die in Ordnung? Wollen Sie die auch verbieten?
Morazzini: Keineswegs, Euer Ehren.
Richterin Ruth Bader Ginsburg: Wo liegt der Unterschied? Wenn Sie eine Kategorie von Inhalten annehmen, die gefährlich für Kinder sind, warum ziehen Sie dann die Grenze bei Videospielen? Was ist mit Filmen? Mit Comics? Mit Grimms Märchen?
Seid ihr noch da? Viel Stoff zum nachdenken,besonders für die verantwortlichen Politiker.
[size=200]Experte: PC-Spiele allein nicht Schuld an Gewalt (Auszug)
Gewalt in den Medien ist nach Einschätzung des Potsdamer Medienexperten Lothar Mikos nicht allein verantwortlich für einen Amoklauf wie in Winnenden. «Dass es nach Medienkonsum zu Gewalt an Schulen kommt, konnte bisher noch nicht wissenschaftlich belegt werden.»
Die Wirkung von Spielen wie «Counterstrike» hänge viel mehr davon ab, welcher Mensch sie spielt.
«Die meisten Jugendlichen haben Kontakt zu solchen Spielen und können doch sehr gut unterscheiden, was Fantasie und was Realität ist.» Sitze jedoch ein ohnehin schon frustrierter Jugendlicher vor dem Computer, so wirke das Spiel anders.
Trotzdem sieht Mikos das Spielen an sich nicht als Auslöser für reale Gewaltanwendung: «Die Ursachen für Amokläufe liegen in der sozialen Realität und mangelnder Anerkennung der Täter». Die Akzeptanz von Gleichaltrigen sei in der Jugend besonders wichtig.
Statt eines Verbots gewaltverherrlichender Spiele, plädierte Mikos für eine stärkere pädagogische Arbeit mit Medien. Eltern, Schüler und Lehrer sollten mehr wissen über Medienkompetenz und den Umgang mit Gewalt in Filmen und Spielen.
DIESE moralapostel! aber in Deutschland is das dumme gebrabbel der Politker ja auch nicht besser,für AMOKläufe müssen schnell schuldige gefunden werden...natürlich die Spielebranche.
komisch aber, POSTAL hat schon viele jahre auf dem buckel. wird aber bei solchen diskusionen immer wieder an den haare herbei gezerrt!!!! nu is ja gut,sielt ja doch keiner mehr [allgemein2]
diese übertriebende Hexenjagd auf Video/PC Spiele zeigt, wie hilflos die Gesellschaft ist, gerade in Amerika, wo man nur in einer falschen Straßenecke abbiegen muss,um überfallen zu werden... aber Spiele sind natürlich an allem Schuld [allgemein13]